B III.

Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Stadie und zu seinen Aufgaben in Treblinka

Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen, insoweit vollauf glaubhaften Angaben, diejenigen zu seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf dem eingehenden und überzeugenden Gutachten des Regierungsobermedizinalrates Dr. Hin., der den Angeklagten während seiner langen Haftzeit eingehend behandelt und beobachtet hat.

Hinsichtlich seiner Verwendung in Treblinka lässt der Angeklagte Stadie sich wie folgt ein:
Es ist richtig, dass er im Vernichtungslager Treblinka als Stabsscharführer und Spieß eingesetzt gewesen sei. Es treffe auch zu, dass er oder sein Schreiber die telefonischen Meldungen über die Ankunft von Transporten entgegengenommen hätten und dass er dann jeweils das deutsche und das ukrainische Lagerpersonal zur Bahnhofsrampe beordert habe. Es sei ebenfalls richtig, dass er sich einige Male an die Rampe begeben habe, um Transporte abzunehmen und um eine kurze Ansprache an die Angekommenen in deutsch zu halten, die von einem Häftling in die polnische Sprache übersetzt worden sei. Hierbei habe er den Juden sinngemäß das gesagt, was später auf einer Tafel zu lesen gewesen sei, nämlich dass sie hier nur gebadet werden würden, um alsbald zu ihren neuen Arbeitsplätzen weiterzureisen. Diese Rede habe er notgedrungen halten müssen, da es ausgeschlossen gewesen sei, den Juden die Wahrheit über ihr Schicksal zu sagen, denn sie hätten sonst gemeutert, und die Abfertigung hätte viel länger gedauert. Außer ihm hätten auch noch mehrere andere eine solche Ansprache gehalten.
An der Rampe habe er sich jedoch nur einige wenige Male befunden. Es sei unzutreffend, dass er kranken und alten Juden den Weg zur Ärztlichen Behandlung im Lazarett gewiesen habe. Das Wegführen der Alten und Kranken zur Erschießung im Lazarett sei ganz automatisch geschehen. Die Arbeitsjuden des Kommandos Blau hätten das von ganz allein besorgt, ohne dass ein Deutscher hierzu besondere Anweisungen habe geben müssen. Er habe niemals auf Juden, wohl aber ab und zu auf Ukrainer mit seiner Peitsche eingeschlagen, wenn diese zu viel Alkohol getrunken hatten. Er habe aber weder mit seiner Dienstpistole noch mit seiner Maschinenpistole jemals auf Juden geschossen.
Im Übrigen habe er sich kaum um den Lagerbetrieb gekümmert. Zwar habe er immer darauf geachtet, dass bei ankommenden Transporten alle verfügbaren Leute an die Rampe gekommen seien, er selbst sei aber in der Regel in der Schreibstube zurückgeblieben.

Soweit der Angeklagte Stadie seine Tätigkeit bei der Abfertigung von Transporten einzuschränken versucht, ist seine Einlassung durch die Beweisaufnahme widerlegt. Einmal haben die Mitangeklagten Miete und Suchomel glaubhaft erklärt, Stadie habe jedenfalls dann, wenn der Lagerkommandant oder der Angeklagte Franz verhindert waren, in zahlreichen Fällen die Transporte abgenommen. Zum anderen haben dies auch eine ganze Anzahl glaubwürdiger jüdischer Zeugen, so Raj. Gl., Tai., Tu., Koh., Cz. und Kols. bestätigt. Diese eidlich geehrten Zeugen haben insbesondere auch bekundet, dass Stadie auf Ankömmlinge mit seiner Peitsche einschlug und dass er auch in einigen Fällen mit einer Maschinenpistole in die Menschenmenge schoss. Besonders deutlich erinnert sich der Zeuge Tai. daran, dass Stadie und andere SS-Männer bei einem aus Grodno kommenden Transport auf die Juden schossen.
Allerdings lässt sich nicht exakt feststellen, ob Stadie, wenn er auf Ankömmlinge schoss, hierbei jemanden tötete oder töten wollte. Der Zeuge Tai. weiß zwar, dass bei der Abfertigung des Grodnoer Transportes einige Juden erschossen wurden, er vermag aber nicht zu sagen, ob die tödlichen Schüsse von Stadie oder von anderen SS-Leuten oder von Ukrainern stammten. Auch der eidlich vernommene Zeuge Zygmund Stra., der angibt, er habe aus einer Entfernung von 200 Metern gesehen, wie Stadie bei der Ankunft eines Transportes mit einer Maschinenpistole auf einen älteren Juden geschossen habe, vermag nicht mit Sicherheit zu sagen, ob dieser ältere Jude von Stadie verletzt und getötet wurde.
Die Zeugen Raj., Gl., Tai., Tu., Koh., Cz. und Kols. haben weiter überzeugend bekundet, dass Stadie, wenn er an der Rampe war, auch selbst dafür sorgte, dass alte und kranke Menschen zur Erschießung ins Lazarett kamen, nachdem er sie in seiner Ansprache dazu aufgefordert hatte, sich zu einer ärztlichen Behandlung zu melden. Richtig ist allerdings, dass er sie, da er die Leitung des gesamten Geschehens hatte, nicht selbst ins Lazarett brachte, sondern dass dies durch andere deutsche SS-Leute, durch Ukrainer und auch durch Angehörige des Kommandos Blau auf seine Anweisung hin geschah und dass sich im Laufe der Zeit eine feste Übung darin entwickelte, wie man die Alten und Kranken zu erfassen und ins Lazarett zu bringen hatte. Es kann freilich keine Rede davon sein, dass er insoweit nichts veranlasst hätte und dass das Wegbringen alter und kranker Opfer automatisch geschehen sei.
Dass der Angeklagte während des normalen Lagerbetriebs zu den Arbeitshäftlingen milder war als andere deutsche SS-Leute, wird von zahlreichen Zeugen, darunter den bereits erwähnten Zeugen Raj., Gl., Tai., Tu., Koh., Cz. und Kols. bestätigt. Andererseits sind aber zwei Fälle erwiesen, bei denen Stadie persönlich Häftlinge schlug. So vermag sich der eidlich vernommene Zeuge Zygmund Stra. daran zu erinnern, dass Stadie ihn, als er auf einem Barackendach Reparaturen ausführte, mehrfach heftig mit der Hand geschlagen hat, weil er der Meinung war, der Zeuge schlafe. Weiter schildert der vereidigte Zeuge Lak. glaubhaft einen Vorfall, bei dem Stadie einem Häftling befahl, seinen Kopf durch die Sprossen einer Leiter zu stecken, um ihn dann mit seiner Peitsche zu schlagen.